Kantonsrats-Mehrheit gegen Unterstützung des Kindergartens

Am liebsten würde ich an dieser Stelle eine Umfrage über Ihre Kindergarten-Erlebnisse starten: Haben Sie gute Erlebnisse an Ihren Bildungskarrieren-Start im Kindergarten? Also ich erinnere mich noch sehr gut, an meine herzensgute Kindergartenlehrerin, an viel Platz, an unbeschwerte Spielstunden mit dem Krämerladen, an dem wir uns einander immer Rosinen «verkauften» – und diese natürlich auch assen…

Meine Damen und Herren, so unbeschwert ist das Kindergartenerlebnis heute nicht mehr! Als Schulpräsident kann ich Ihnen gerne aus erster Hand berichten, dass sich die Situation stark verändert hat. Durch die Verschiebung des Stichtages der Einschulung werden die Kinder Jahr für Jahr jünger. Im August 2020 werden Kinder in den Kindergarten eintreten, die erst wenige Tage vorher vierjährig geworden sind – und bei vorzeitiger Einschulung durch die Eltern sind sie sogar noch jünger. Ganz abgesehen davon, dass diese Kinder von wesentlich unterschiedlicheren Erziehungsstilen geprägt wurden als wir dies noch vor40 Jahren waren, brauchen diese immer jüngeren Kindern wesentlich mehr Betreuung. Manche Kinder leider unter Heimweh, sie können ihre Kleider und Schuhe nicht selbstständig aus- und anziehen und das eine oder andere Kind kann sogar noch nicht mal alleine aufs WC gehen. Die Entwicklungsunterschiede in den altersdurchmischten Klassen sind enorm: Neben Kindern, die schon sehr reif sind, gibt es in der gleichen Klasse Kinder, die noch nie eine Schere benutzt haben, Kinder, die ein kleinkindliches Verhalten an den Tag legen, kein Deutsch sprechen, Kinder mit grossem Bewegungsdrang, Kinder mit speziellen Bedürfnissen oder besonderen Begabungen usw… Dann gibt es Kinder, bei denen man in den ersten Wochen des Kindergartens Auffälligkeiten entdeckt, die dringend abgeklärt und sonderpädagogisch therapiert werden müssen – das braucht Zeit, und die Störungen belasten das geordnete Miteinander im Kindergartenalltag zusätzlich.

Und mittendrin in diesem Gewusel von 21 oder mehr Kindern versucht die Kindergartenlehrperson einigermassen geordnete Verhältnisse herzustellen. Also ich staune immer wieder, mit welcher Energie sich unsere Kindergartenlehrpersonen engagieren. Aber ich kann Ihnen sagen: Manchmal ist es wirklich übermenschlich, was sie leisten müssen, um die Klassenführung wenigstens noch einigermassen zu behalten. Und wir reden da erst vom «Normalbetrieb» – was macht die Kindergarten-Lehrperson, wenn einem Kind ein Missgeschick passiert und sie absorbiert? Und da sind noch zwei Kinder mit Auffälligkeiten, die man nicht aus den Augen lassen kann.

21 oder mehr Kinder – aber nur eine Kindergartenlehrperson (die erst noch nur 88% angestellt ist, aber darüber reden wir dann in einem anderen Vorstoss von mir).
Hand aufs Herz: Würden Sie als Eltern ihr vierjähriges Kind gerne in einem Kindergarten abgeben, in dem die sichere Klassenführung in den ersten Wochen nur mit Mühe und Not gewährleistet werden kann? Vermutlich kaum…

Deshalb ist es dringend notwendig, dass die Kindergarten-Lehrpersonen jeweils im ersten Semester durch eine weitere Person unterstützt wird. Die zusätzliche Person entlastet die Situation in den ersten Kindergartenmonaten bis die kleinen Kinder etwas älter und an den Ablauf gewöhnt sind, bis die sonderpädagogischen Massnahmen bei den Kindern mit besonderen Bedürfnissen greifen und bis auch bei den Kinder ohne Deutschkenntnisse die Verständigung sichergestellt ist. Eine zusätzliche Person im ersten Kindergartensemester trägt damit entscheidend zu einem guten Miteinander im Kindergartenalltag und einem zielführenden Unterricht bei. Und dieses gute Miteinander und der zielführende Unterricht in der Kindergartenstufe ist die entscheidende Basis für den weiteren erfolgreichen Bildungsverlauf.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen noch ein Statement des Volksschulamtes zur angespannten Situation im Kindergarten zitieren: «Das Volksschulamt empfiehlt den Schulgemeinden, den Einsatz von Schulassistenzen (Klassenassistenzen) zu prüfen. Eine solche Massnahme ist besonders dann angezeigt, wenn die Zahl der Schülerinnen und Schüler hoch bzw. die Zusammensetzung in der Klasse anspruchsvoll ist.»

«Das Volksschulamt empfiehlt den Gemeinden, Schulassistenzen einzusetzen»?! – da kann ich nur sagen: «Amen dazu – absolut einverstanden!»
Dumm nur, dass es rechtliche Rahmenbedingungen gibt, in denen das gleiche Volksschulamt vorgibt, dass pro sechs Klassen nicht mehr als eine Vollstelle Schulassistenz eingerichtet werden dürfen. Jede Schule braucht aber auch für besonders belastete Primar- und sogar Sekundarschulklassen noch Klassenassistenzen, die unter das gleiche gedeckelte Kontingent fallen.
Das heisst also: Gemeinden können im Kindergarten gar nicht flächendeckend zusätzliche Personen einsetzen, selbst wenn sie das wollten.

A propos «wollten»: Nur mit einer kantonalen Vorgabe ist sichergestellt, dass in den Kindergärten des ganzen Kantons Unterstützungspersonen engagiert werden und Chancengleichheit herrscht. Es kann doch nicht sein, dass meine Kinder je nach Wohnort in einen Kindergarten kommen, in dem die Lehrperson durch eine weitere Person unterstützt wird oder in einen Kindergarten, in dem dies nicht der Fall ist…

Übrigens: Das erwähnte Zitat des Volksschulamtes stammt aus dem Papier zur Stellensituation im Kanton Zürich für das Schuljahr 2018/2019. Darin wird konstatiert, dass in Sachen Personalmangel auf der Kindergartenstufe eine «angespannte Situation» herrsche, und der Einsatz der Schulassistenz ist eine vorgeschlagene Massnahme dagegen.

Ich kann Ihnen sagen: Der Einsatz von Schulassistenzen in allen Kindergärten des Kantons ist auch eine wirksame Massnahme gegen den dramatischen Personalmangel an Kindergartenlehrpersonen: Wenn die Berufs-Interessierten sehen, dass wir im Kanton Zürich, wir hier drin (!) die Wichtigkeit der Kindergartenstufe als Basis für den gesamten Bildungsverlauf anerkennen und mit griffigen Massnahmen eine seriöse und verantwortungsvolle Ausübung des Berufes der Kindergartenlehrpersonen unterstützen, dann werden auch wieder mehr junge Menschen dieses Studium an der PHZH ergreifen!

Meine Damen und Herren: In der Bildung geht es um unsere Zukunft, um die nächste Generation, und wir tun gut daran, einen gelingenden Start in erfolgreiche Bildungskarrieren zu ermöglichen – deshalb unterstützen Sie diese parlamentarische Initiative!

Ich möchte Sie nochmals daran erinnern: Kinder im Kindergarten werden immer jünger, es gibt immer mehr Kinder mit intensivem Betreuungsbedarf, es ist je länger je unverantwortlicher, eine einziger Kindergartenlehrperson mit 24 kleinen Kindern einfach ihrem Schicksal zu überlassen – und das bloss aus der fixen Idee, dass Bildung nicht teurer werden darf!

Unsere Kindergärten brauchen Unterstützung – und wir tun gut daran, unserer nächsten Generation einen gelingenden Start in erfolgreiche Bildungskarrieren zu ermöglichen!
Ich zähle darauf, dass mindestens 60 von Ihnen hier im Saal die Bildung der Zukunft so wichtig ist, dass sie diese PI vorläufig unterstützen, damit wir uns in der Kommission mit dieser Problematik befassen und Ihnen Lösungsvorschläge anbieten können!

Votum in der Kantonsratssitzung vom 26.11.18 von EVP-Kantonsrat Hanspeter Hugentobler. Leider unterstützten nur 56 Kantonsrätinnen und Kantonsräte von EVP, SP, AL und Einzelne der GLP diesen Vorstoss – vier Stimmen zu wenig für die Überweisung an die zuständige Kommission! Dagegen waren Grüne, CVP, BDP, EDU, FDP und SVP. Die EVP wird sich dennoch weiterhin für eine Stärkung der Kindergartenstufe einsetzen und bleibt am Thema dran.

Unter Medienberichte können Sie nachlesen, was die Presse über meine Voten und Vorstösse berichtet.

Weitere Infos zu meinen Vorstössen im Kantonsrat finden Sie unter: Kantonsrat Zürich | Mitglieder | Hanspeter Hugentobler (zh.ch)

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7 Gedanken zu „Kantonsrats-Mehrheit gegen Unterstützung des Kindergartens

  1. Lieber Herr Hugentobler

    Vielen Dank, dass Sie sich für uns Kindergarten-Lehrpersonen einsetzen! Schade, dass Sie zur Minderheit auf politischer Ebene gehören. Aber wir geben nicht auf und kämpfen für unsere Anerkennung und die nötigen Unterstützungen! Der Vorstoss sollte sogar noch weiter gehen mit 2 ausgebildeten Lehrpersonen pro Klasse. Mit integriertem Deutsch und IF Unterricht wäre das z.T. einfacher erfüllbar. In einer Kita gibt es pro 6 Kinder eine Betreuungsperson und im Kindergarten für 24 Kinder eine!?

    Freundliche Grüsse

    • Vielen Dank für Ihre Rückmeldung – Sie sprechen mir aus dem Herz! Ideal wären angesichts der zunehmenden Anzahl zu integrierender Kinder mit besonderen Bedürfnissen wirklich zwei Lehrpersonen pro Klasse. Aber vorerst wären wir nur schon glücklich, wenn sich Mehrheiten für eine Unterstützung durch Klassenassistenzen fänden – leider… Wir bleiben dran!

  2. Die Unterstützung muss meiner Meinung nach noch viel tiefer greifen!
    Es braucht nicht „nur“ eine Assistenz im 1. Semester.
    Wir brauchen 2 pädagogisch ausgebildete Personen PLUS eine Assistenz im ganzen Schuljahr!!

    Abgesehen davon: was soll denn die Assistenz im 2. Semester tun? Kellnern bis man sie vielleicht im nächsten Jahr wieder anstellt?

    Dennoch DANKE!, dass Sie sich so engagieren. Schritte in die richtige Richtung brauchen wor dringen!!

    • Vielen Dank für die Rückmeldung! Von vielen Kindergarten-Lehrpersonen wurde uns signalisiert, dass vor allem die ersten Monate mit der “Eingewöhnung” der Kleinsten an den Schulbetrieb extrem herausfordernd geworden sind. Der Vorschlag mit dem halben Jahr war ein Kompromiss zur Unterstützung in der dringendsten Phase – aber leider waren nicht mal für diesen Vorstoss genügend Kantonsratsmitglieder zu erwärmen. Aber wir bleiben am Thema dennoch dran….

  3. Warum nicht einmal ganz neu denken. Was geschähe, wenn man den akademischen Pfad verlassen und auch für Kindergartenlehrkräfte die Lehre einführen würde? Diesen Gedanken könnte man auch für sehr viele “verakademisierte” Berufe weiter verfolgen…

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