Wir haben alle gelernt, «Nein» zu sagen. Das ist eine gute Sache. Überall «Ja» zu sagen und die Kräfte in unzähligen Engagements zu verzetteln, ist keine gute Idee. Aber inzwischen beschleicht mich immer öfters der Gedanke, ob wir vielleicht das «Ja» sagen verlernt haben. Ein Ja zu wertvollen Aufgaben im Dienste unserer Mitmenschen, die auch uns selbst glücklich machen würden. Haben Sie schon einmal versucht, Freiwillige zu gewinnen für eine Aufgabe in einem Verein, in der Kirche oder gar für ein Engagement eines öffentlichen Amtes? Ich kann Ihnen garantieren, dass Sie Dutzende von Absagen erhalten werden – alle mit guten Begründungen, gegen die niemand etwas haben kann: «Ich will genug Zeit haben für meine Familie», «vielleicht in einigen Jahren» oder eben: «Dann wäre Arbeit und Freizeit nicht mehr in der Balance».
Ganz ehrlich: Ich kann es nicht mehr hören, das Gerede von der «Work-Life-Balance». Ärgerlich finde ich am Ausdruck «Work-Life-Balance» vor allem, dass suggeriert wird, erst nach der Arbeit beginne das Leben. Arbeiten von acht bis fünf Uhr als notwendiges Übel – und nach fünf Uhr und am Wochenende beginnt erst das wirkliche Leben?
Noch nie hatten wir in der Schweiz so kurze Arbeitszeiten und so viel Freizeit – aber gleichzeitig sind wir auch so gestresst wie noch nie. Kann es sein, dass da viel «hausgemachter Freizeitstress» dabei ist? Ein vielfältiges Event-Angebot lockt uns, wir wollen nichts verpassen und wir arbeiten unsere Bucket-List ab mit Erlebnissen und Reisezielen, die wir noch erleben wollen.
Wäre weniger Freizeit-Stress vielleicht mehr? Ich merke das bei mir selbst immer wieder in der konkreten Gestaltung meines freien Sonntags. Als Ruhetag war er eigentlich gedacht, von unserem Schöpfer eingerichtet zu meiner Erholung. Doch ich bringe mich in unnötigen Sonntags-Stress und überlege, welchen Sonntagsausflug ich planen soll, was ich dann abends nach dem Ausflug unbedingt noch erledigen muss, und dann möchte ich irgendwann auch noch die Sonntagspresse lesen…!
Mein persönliches Wundermittel gegen den Sonntagsstress: Ich plane einen Gottesdienstbesuch ein – und sonst nichts. In der Kirche zur Ruhe kommen, durchatmen, realisieren, dass da ein Gott ist, der über meinen Alltagsherausforderungen steht, Kraft tanken für die spannenden Aufgaben der neuen Arbeitswoche: Das tut so gut! Und anschliessend als Familie zu Hause das Mittagessen zu geniessen und den Tag zur freien Verfügung zu haben – ohne feste Verpflichtung und Programm: Solche Sonntage möchte ich mir immer wieder gönnen. Dann steige ich am Montag wieder entspannt in die neue Arbeitswoche ein – ganz ohne Work-Life-Balance-Stress…
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