Internet und Smartphone sind zu einem ganz selbstverständlichen Bestandteil unseres Alltags geworden. Wir wachsen dabei so in die neue Medienwelt hinein, dass wir fast vergessen, wie grundlegend der aktuelle Umbruch nicht nur unser Medienverhalten, sondern unsere ganze Gesellschaft verändert.
6. August 1991: Am CERN in Genf wird das World Wide Web öffentlich – ein erster Webserver nimmt seinen Dienst auf. Noch nicht einmal 25 Jahre später blicken wir auf eine rasante Entwicklung zurück. So verzeichnet man heute ein weltweites Datenaufkommen von einem Exabyte pro Tag – in Worten sind dies 1‘000‘000‘000‘000‘000‘000 Zeichen. Und seit 2003 das Internet als Web 2.0 mit Facebook, Twitter, YouTube, Blogs und Videos immer interaktiver und lebendiger wurde, hat eine eigentliche Medienrevolution eingesetzt. Das Internet verändert nicht nur die Medienwelt, sondern auch unsere Gesellschaft und sogar unser persönliches Leben. Nicht umsonst wird die gegenwärtige Medienrevolution mit der Bedeutung der Einführung des Buchdrucks vor 500 Jahren verglichen.
Die Informationsfülle im Internet wächst und wächst. Alle 60 Sekunden werden 600 Videos auf YouTube hochgeladen, in sozialen Internetplattformen werden 695‘000 Statusmeldungen geschrieben und 510‘040 Kommentare dazu abgegeben und ebenfalls jede Minute (!) werden 168‘000‘000 Emails versandt. Auch unser Medienkonsum steigt: 461 Minuten nutzen wir in der Deutschschweiz jeden Tag Medien. 2008 waren es noch 373 Minuten gewesen. Fernseh- und Radiokonsum sind nach wie vor top, stark zunehmend nutzen wir das Internet. Grosser Verlierer sind die gedruckten, abonnierten Tageszeitungen. In Deutschland beispielsweise ging die Auflage der Tageszeitungen von 30,1 Mio im Jahr 1983 auf 17,5 Mio im Jahr 2013 zurück. Ein Minus von 42,5% in 30 Jahren: Da braucht man nicht Prophet zu sein, um das Ende der gedruckten Zeitungen vorauszusagen. Denn die Abonnements- und Inserateeinnahmen brechen weg – in Deutschland beispielsweise gingen diese allein in drei Jahren von 2010 (3,6 Mia Euro) bis 2013 (2,9 Mia Euro) um 20% zurück. Zwar investieren die Verlage intensiv in neue Internetseiten, doch die entsprechenden Einnahmen aus Internetwerbung decken nur einen kleinen Teil der Einnahmenausfälle.
Verändert hat sich auch die Rolle der Medien. „Wetten dass“ wurde im vergangenen Dezember zum letzten Mal ausgestrahlt und signalisiert damit das Ende der grossen „TV-Kisten“, die am Samstagabend die ganze Familie vor dem Fernsehapparat vereinigen konnten. Es gibt keine Programme für das „breite Publikum“ mehr. Für jede Zielgruppe braucht es andere Formate, andere Kanäle und andere Zeiten. Und Medienunternehmen können uns immer weniger vorschreiben, wer wann was zu empfangen hat. Medien müssen ihre Rolle als Programmdirektor mit derjenigen des Inhaltsanbieters eintauschen.
Das Internet verändert nicht nur die Medienwelt, sondern auch unser persönliches Leben. Das sehen wir zum Beispiel daran, wie wir heute TV-Sendungen anschauen. 76% der Schweizerinnen und Schweizer nutzen den sogenannten „Second Screen“ – sie rufen also beim TV-Schauen auf einem weiteren Gerät wie einem Smartphone oder einem Tablet ergänzende Informationen ab oder versenden Nachrichten an Freunde. Das laufende TV-Programm gibt mir einen Anstoss, dem ich auf dem Tablet nachgehen kann; ich kann auf das Gesehene umgehend reagieren mit einem Kommentar oder einer Bestellung.
Dieser Trend betrifft nicht nur das Fernsehen, sondern zunehmend alle Lebensbereiche. Das Internet wird zu meinem ständigen Begleiter. Wir wollen heute Medien konsumieren wo immer wir sind, wann immer wir wollen und wozu wir wollen. Wenn mich ein Thema beschäftigt, während ich am Bahnhof auf meinen Zug warte, musste ich vor 30 Jahren auf die Beantwortung meiner Frage warten, bis ich zu Hause das Lexikon konsultieren oder gar allenfalls eine Bibliothek aufsuchen konnte. Heute kläre ich meine Frage dank meines Smartphones direkt während meiner Wartezeit auf dem Bahnhof.
Mit dem Aufkommen des Web 2.0 haben die Medienschaffenden ihr Informations-Monopol verloren. Brachten sie uns früher die aktuellen Geschehnisse ins Haus, so haben wir heute jederzeit Zugriff auf Millionen von Webseiten und Blogs voller Informationen. Ist damit vielleicht die Demokratisierung der Information Realität geworden? In dieser Hinsicht ist es spannend zu beobachten, wie das „freie“ Internet-Lexikon Wikipedia die Lexika verdrängt, die früher in den Haushalten zum Grundinventar gehörten…
Oder ist das Web 2.0 der Untergang jeder seriösen Hintergrundberichterstattung? Wer vor allem Gratis-Zeitungen konsumiert, weiss zwar Bescheid über wichtige und unwichtige Ereignisse, er erfährt aber kaum jemals Details über Hintergründe und Zusammenhänge. Und: Wie prüfen wir den Wahrheitsgehalt und die Objektivität der unüberblickbaren Internet-Vielfalt?
Immer wichtiger werden dabei die Freunde unserer sozialen Netzwerke. Inzwischen verwenden 40% unserer Bevölkerung soziale Medien – Facebook alleine hat in der Schweiz 2,8 Mio Mitglieder. Und ich entdecke oft spannende Medieninhalte, weil meine Facebook-Freunde sie mir empfehlen. Indem auch ich meinen Freunden gute Medieninhalte empfehle, führe ich sie durch den Mediendschungel. Eigentlich sind soziale Medien damit nichts anderes als die moderne Variante des Dorfplatzes, auf dem man Freunde und Bekannte trifft und mit ihnen bespricht, was bewegt. Trotz der Medienrevolution ist also der mir vertraute Mitmensch immer noch der beste und wichtigste Begleiter durch den Alltag.
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